Aphrodite oder die monotheistische Katastrophe

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Kittler unter Aphroditen in einer Performance von Iris Brosch auf der Biennale in Venedig (2009)

(c) Iris Brosch

Ausschnitt aus dem Buch Flaschenpost an die Zukunft (Kadmos, 2013); Kritik in der Welt

Till Nikolaus von Heiseler: Ordnung der Dinge Les mots et les choses, ich glaube 1966 erschienen – mit dem Untertitel: Une archéologie des sciences humaines – was sagt uns dieses Buch, oder was sagt Ihnen das Buch, vor allem zu dieser unserer Zeit?

Friedrich Kittler: »Der Mensch ist ein in den Sand gemaltes Gesicht, das vom Ozean ausgelöscht sein den niemand zitiert, steht zwei Seiten weiter vorne: »Les dieux nouveaux, les mêmes, gonfl ent déjà l’océan future« – »Neue Götter, dieselben, schwellen schon den künftigen Ozean auf«, und das ist, glaub’ ich, das, was wir alle denken, die Wiederkehr der Götter, seit Hölderlin und Hegel – ob das denn möglich wäre, verstehen Sie? Wie können wir die monotheistische Katastrophe abwenden, zurückbiegen, ins Heile verwinden – sind ja viele gute Christen und Juden und Moslems auf dieser Welt gewesen und sind es auch jetzt, aber die Annahme, dass ein einziger Gott die Welt – seit dem Mittelalter heißt das aus dem Nichts – geschaffen hat, ist doch so absurd, weil völlig klar ist, dass alle Mythen von Autochthonie in Athen und alle Mythen eines einzigen Schöpfergottes bloß die Tatsache vernebeln und verhüllen sollen, dass jeder von uns zwei Eltern hat. Und dass es Göttinnen gibt, nicht nur Götter. Heidegger hat es Zeit seines Lebens nicht zu publizieren gewagt, aber es gibt einen langen Text von ihm, in dem er über Göttinnen redet, über Aphrodite.

Aus dem Buch Flaschenpost an die Zukunft (Kadmos, 2013); Kritik in der Welt